Kunstwerk des Monats
April 2021
ohne Titel, 1959
André Thomkins (1930–1985)
Lack auf Papier
Objektmass: 42 x 32 cm
Inv.-Nr.: 1088
Lackskins nannte André Thomkins die Bilder, zu denen auch dieses Werk gehört. Sie ziehen sich durch das gesamte Lebenswerk des Künstlers bis in die 1980er-Jahre. Der auf den ersten Blick nicht erkennbare Entstehungsprozess ist bei diesen Werken von entscheidender Bedeutung. In einer TV-Dokumentation aus dem Jahr 1966 beschreibt Thomkins sein Mitte der 1950er-Jahre entwickeltes Verfahren: «Ein Tropfen oder ein zähflüssiger Faden von Lackfarbe fällt auf das Wasser und breitet sich darauf aus und besetzt die Oberfläche. Die Zeichnung, die entsteht, kann fortwährend verändert werden, mit Mitteln, deren Wirkung ein Wechselspiel zwischen künstlichen und natürlichen Kräften auslöst: Bläst man auf den Lack, so treibt er auseinander in der gewünschten Richtung, löst sich in Graustufen von fotografischer Feinheit auf und suggeriert Plastizität. Mit Tropfen und Fäden von Lack, die auf das entstehende Bild geworfen werden bzw. geführt werden, verändert man die Landschaft […]».
Thomkins hatte diese spezifische Technik bei der Reinigung seiner Pinsel nach dem Streichen eines Kinderbettes entdeckt. Die auf der Wasseroberfläche zurückgebliebene Lackhaut erzeugte eine imaginative Wirkung, die Thomkins eine fantastische neue Welt und Möglichkeit offenbarte. Der Zufall spielt nicht nur bei der Entdeckung einer neuen Technik, sondern im Kunstwerk selbst die entscheidende Rolle. Das Bild wird nicht konstruiert, geplant, sondern entsteht im Prozess der Formauflösung und Formwerdung. Dennoch hatte der Künstler die Möglichkeit einzugreifen und den Prozess zu manipulieren. Derart entstanden abstrakte Schönheiten, fantastische Gebilde von Mikro- und Makrowelten, welche an Landschaften und Figuren erinnern und den Betrachter in eine dreidimensionale Tiefe ziehen. Das Kunstwerk des Monats April ist bis 27. Februar 2022 in der Ausstellung I’ll be Your Mirror. Wasser in der Sammlung Bosshard zu sehen.
André Thomkins wurde 1930 in Luzern geboren und starb 1985 in Berlin. Auf der Suche nach angemessenen Ausdrucksformen seiner grenzenlosen Fantasie und Experimentierfreude – gepaart mit der Aktualität seines Denkens – entwickelte er eigene Maltechniken und Formen der bildlichen Darstellung. Man muss genau hinsehen, der Betrachter wird immer wieder überrascht und zum Staunen und Schmunzeln eingeladen. Im intensiven Austausch mit Künstlerkollegen und Freunden, so auch der innovativen internationalen Künstlergruppe CoBrA, bewegte sich Thomkins am Zenit seiner Zeit. Sein breit aufgestelltes Œuvre, von der Zeichnung und Malerei bis zur Skulptur und Musikinstrumenten, hat international Spuren hinterlassen, auch mit der Teilnahme an der Kunstausstellung documenta 5 (1972) und der documenta 6 (1977) in Kassel.
Text: Julianna Ban.