Kunstwerk des Monats
Mai 2024
Berge und Rosen, 2022
Barbara Heé (*1957)
Bleistift auf Papier
21 x 29.5 cm
Inv.-Nr. 2632
Um die Basis ihres Schaffens zu beschreiben, greift Barbara Heé auf ein Zitat Henry Millers (1891–1980) aus seinem Roman Plexus zurück: «Von dem Augenblick an, da man jeder Sache eine gespannte Aufmerksamkeit widmet, wird oft ein einfacher Grashalm, wird alles zu einer geheimnisvollen, Ehrfurcht erregenden, unsagbar begeisternden Welt». Zu denken, ein massiver Berg wäre völlig verschieden von einer zarten Blume, ist laut Heé falsch. Sie versteht die Welt in einer Vollständigkeit, einer Gleichung, in der alles zusammen Eins ergibt. Dieser Idee folgend konzipiert sie Berge und Rosen, dessen Akteure sich in einer unentwirrbaren, ineinander verwachsenen Umarmung befinden, sich immer näherkommen, bis sie schliesslich ein voneinander untrennbares Dasein entwickeln.
Die Künstlerin schafft in der Werkgruppe Berge und Rosen eine Vielzahl von Zeichnungen, in der Schritt für Schritt eine Annäherung der beiden Komponenten der Natur visualisiert wird. Dabei zeichnet sie die Berge und Rosen en plein air, direkt vor Ort. Während sie die Blumen in Rosengärten betrachtet, schenkt ihr das Oberengadin, zu dem sie eine spezielle Beziehung pflegt, Inspiration.
Barbara Heé sieht alles in einem ewigen Verwandlungsprozess. Nichts ist beständig, sondern ist fortwährenden Veränderungen unterworfen. «Alles fliesst», sagt sie, wobei man hier auch an den Aphorismus, den Denkspruch des griechischen Philosophen Heraklit (520–460 v. Chr.) denken könnte. Panta rhei – alles fliesst – meinte dieser, damit auf die «Einheit aller Dinge» verweisend. Der Fluss dient als Metapher: In ihm spielt sich ein fortlaufendes Werden und Wandeln ab und verweist zugleich auf die ihm zugrundeliegende Vereinheitlichung vom Vielem.
Das Fliessen eines Flusses spiegelt sich sogleich in Barbara Heés künstlerischer Umsetzung wider: Sie wird getragen von einem Strom, fertigt eine «Flut» von Werken an, bis sie schliesslich an einer Mündung stilles Gewässer erreicht und sich neuen Projekten zuwendet.
Barbara Heé wurde 1957 in St. Gallen geboren, wo sie eine Ausbildung zur Textildesignerin an der Kunstgewerbeschule absolvierte. Im Anschluss besuchte sie die Schule für Gestaltung in Zürich. Schon in jungen Jahren verstand sie sich zur Künstlerin berufen und setzte sich zum Ziel, die Art, wie sie die Welt wahrnimmt, als eine Alleinheit, verbunden durch ein Geflecht von Energien, einem «Quantennetz», mit der Welt zu teilen.
Text: Elin Weiss