Kunstwerk des Monats
September 2022

Haus Lemke 2, 2009

Rita Ernst (*1956)
Acryl auf Leinwand
87 x 118 cm
Inv.-Nr. 3280

Rita Ernsts Selbstverständnis als Künstlerin ist untrennbar mit der Architektur und ihren Erscheinungsformen verbunden. Die Künstlerin arbeitet seit 20 Jahren mit architektonischen Plänen und Grundrissen, angefangen in Sizilien, wo sie arabisch-normannische Sakralarchitektur, Gärten und Innenhöfe sizilianischer Paläste studierte. In Auseinandersetzung mit barocker Architektur zog sie zunehmend Parallelen zur zeitgenössischen Baukunst und wandte sich der Moderne und dem Konstruktivismus zu.

Haus Lemke 2 ist Teil einer Serie, die von den Grundrissen ungewöhnlicher Architekturobjekte von Ludwig Mies van der Rohe (1886–1969) inspiriert ist. In diesem Projekt setzt sich Ernst künstlerisch mit den Gebäuden des Architekten auseinander. Die Serie besteht aus mehr als fünfzig verschiedenen Werkvariationen zu diesem Thema. Ernsts Auswahl aus dem Werk des ehemaligen Bauhaus-Direktors erfolgte urwüchsig: Sie folgte der Idee von Schönheit, Präzision, Klarheit, Funktion und Sinn in von ihr als harmonisch empfundenen Proportionen. Im Mittelpunkt ihres Projekts steht das hier abgebildete Landhaus, gebaut im Jahr 1933 in Berlin. Es wurde von Karl Lemke, Inhaber einer grafischen Kunstanstalt, für sich und seine Frau in Auftrag gegeben. Rita Ernst erobert die Arbeit von Mies van der Rohe, indem sie sich auf Ausschnitte konzentriert. In ihnen erkennt die Künstlerin eine Qualität, die für ihr eigenes Schaffen unerlässlich scheint: Sie reduziert die Raumansichten auf das Wesentliche und verwandelt Raum in Fläche. Der Architektur nimmt sie das Dreidimensionale und löst sie in streng senkrecht-waagerecht ausgerichtete Balkenstrukturen auf.

Eine kühle, gleichzeitig aber abwechslungsreiche Farbbehandlung der Flächen zeigt im Binnenbereich Schwarz, helles Grau, Aluminium und Stahl. Acrylfarben mit Metallic-Tönung lassen das Licht reflektieren und verleihen dem Werk einen edlen, fast magischen Glanz. Raffiniertheit, Eleganz, Schlichtheit – all dies sind die Grundlagen der Arbeit des Architekten, und Rita Ernst gelingt es fabelhaft, den Kontext seiner Arbeit zu vermitteln und in Sprache der konzeptuellen Kunst zu übersetzen.

Rita Ernst pendelt zwischen Sizilien und Zürich und ist in verschiedenen künstlerischen Medien tätig: Installation, Zeichnung, Konzeptkunst, Kunst am Bau, Grafik. Nach ihrem Abschluss an der Schule für Gestaltung in Basel 1976 begann sie ihren einzigartigen Stil zu formen. In ihren Arbeiten experimentiert die Künstlerin mit der Anordnung und Verformung geometrischer Körper im Raum, dem Spiel von Licht und Schatten, der Struktur architektonischer Objekte und der Kombination von Farben.

Text: Alina Gnatyshina