Kunstwerk des Monats
September 2023
On peut faire une omelette sans casser des œufs, 2004/2023
Carmen Perrin (*1953)
4 Eier, Leim und Nägel
je ca. 6–7 x 7–9 x 6–7 cm
Inv.-Nr. 2330–2333
Wie Seeigel oder mittelalterliche Morgensterne erscheinen die Gebilde von Carmen Perrin. Tatsächlich handelt es sich um Eierschalen, die mit Nägeln beklebt worden sind. Die Arbeit lebt von Kontrasten: die Fragilität der Eierschale gegen das harte Metall, die scharfe Spitze der Nägel gegen die glatte Oberfläche des Eis. Das Ei scheint sich gegen imaginäre Angreifer wehren zu wollen. Statt durchbrochen werden zu können, verletzt sie gegen aussen.
Der sprechende Titel des Kunstwerks vermag es, diese starken ersten Impressionen zu vertiefen. On peut faire une omelette sans casser des oeufs (übersetzt: Man kann ein Omelett machen, ohne Eier zu zerschlagen) impliziert, dass das Innere des Eis herausgeholt werden kann, ohne dass das Ei aufgebrochen werden muss. Genau dies hat stattgefunden: Die Eierschalen des Objekts scheinen unverletzt. Der Titel ist eine abgeänderte Version des geläufigen Sprichworts On ne peut pas faire une omelette sans casser des oeufs (Man kann kein Omelett machen, ohne Eier zu zerschlagen), das französische Pendent zu «Wo gehobelt wird, fallen Späne».
Was heisst es, dass Perrin die Negation aus dem Sprichwort entfernt? Soll dies als Friedensparole aufgefasst werden? Ein Aufruf zum harmonischen Miteinandersein? Unweigerlich steigt ein anderes Sprichwort in uns auf («Harte Schale, weicher Kern») und man ist versucht, das Werk psychologisch zu deuten. Umso mehr, wenn man bedenkt, welches Gewicht auf die zerbrechliche Schale drückt… Es wird schlussendlich der Imagination der Betrachtenden überlassen, die Kontraste, die das Werk aufwirft, zu entwirren und zu deuten.
Carmen Perrin wurde 1953 in La Paz, Bolivien, geboren und kam als Sechsjährige nach Genf. Dort besuchte sie die Ecole Supérieure des Beaux-Arts, wo sie später auch unterrichtete. Nachdem sie zu Beginn ihrer Karriere v.a. installativ arbeitete, begann Perrin ab 1984 den Fokus ihrer Forschungen zu Spannung und zur Wahrnehmung von Volumen anhand von Skulptur und Plastik zu setzen. Ab Anfang der 1990er-Jahre rückte zunehmend die Oberfläche in den Fokus ihrer Arbeit. Neben zahlreichen Ausstellungen im In- und Ausland befinden sich Perrins Werke in wichtigen Sammlungen, u.a. im Aargauer Kunsthaus, im Musée d’art et d’histoire in Genf und im Musée cantonal des beaux-arts in Lausanne.
Text: Anna-Vera Oppliger