Kunstwerk des Monats
Februar 2023
Organisation spatiale No. 106, 1973
Marguerite Hersberger (*1943)
Acrylglas, Novopan (gespritzt) und Nylondraht
46 x 69 x 13.5 cm
Inv.-Nr. 4835
Die Wahlzürcherin Marguerite Hersberger setzt sich seit den späten 1960er-Jahren intensiv mit Fragen der Raumwahrnehmung auseinander. Während das Werk Vier ineinandergefügte Quadrate (Kunstwerk des Monats Januar 2023) seine Raumwirkung erst aus der zweidimensionalen Flächigkeit heraus entwickelt, greift Organisation spatiale No. 106 unmittelbar in den Raum hinein. Anders als es die Abbildung vermuten lässt, beschränkt sich das Werk nämlich nicht bloss auf zwei schwarz-weisse Farbfelder. Ihnen vorgesetzt ist mit einigem Abstand ein transparentes Acrylglas in Vitrinen-Optik, wodurch ein physisch fassbarer Zwischenraum entsteht. Zentral ist das Spannungsfeld von offenem und geschlossenem, undefiniertem und definiertem Raum – eine Dichotomie, die sich durch die schwarz-weisse Teilung des Hintergrunds verstärkt.
Das Resultat ist eine ambivalente Struktur, die sich je nach Position vor dem Werk zum Raum hin öffnet oder sich diesem verschliesst. Dieses Moment akzentuiert die Künstlerin durch zwischen Glas und Rückwand gespannte Nylondrähte: Jeweils drei Seiten eines Quadrats bildend, scheint man frontal betrachtet auf die Ränder weiterer Acrylglasscheiben zu blicken. Dass es sich dabei in Wirklichkeit jedoch um «leere» Flächen handelt, erschliesst sich erst in der eigenen Bewegung vor dem Werk. Abschliessend wird auch klar, dass die farbliche Zweiteilung des Hintergrunds weit mehr als nur einem formalen Echo dient. Denn während der Schattenwurf der linken Nylondrähte vor weissem Grund ihre vermeintliche Oberfläche zusätzlich plastisch erscheinen lässt, verschwindet er rechts komplett im Schwarz des Quadrats. Das Licht offenbart sich, wenn auch zurückhaltend, als elementarer Teil der Raumwahrnehmung. Obwohl es sich hier also um ein Frühwerk handelt, kündigt sich im suggestiven Schattenspiel bereits die Kernthematik von Hersbergers künstlerischem Schaffen an.
Marguerite Hersberger ist 1943 in Basel geboren. Sie besuchte die Schule für Gestaltung in Basel und zog 1970 nach Zürich, dort präsentierte sie erstmals ihre Werke in einer Einzelausstellung. Kurz darauf entstanden ihre Werke aus der Serie Organisation Spatiale (1972), von denen hier in der Ausstellung «Acht Räume. Werke aus der Sammlung» zwei zu sehen sind, und Polissagen (1973), welches sich ebenfalls in der Sammlung Bosshard befindet. Die Arbeiten von Marguerite Hersberger sind international institutionell vertreten. Gleichzeitig konnte die Künstlerin seit den 1990er-Jahren zahlreiche Kunst-am-Bau-Projekte realisieren, so etwa an der ETH und der Universität Zürich-Irchel. Mit ihrer plastischen Herangehensweise setzt Hersberger bis heute neue Akzente.
Text: Silvan Benz