Kunstwerk des Monats
Juli 2023
Modèles, 1996
Bessie Nager (1962–2009)
Heliografie auf Offsetdruckpapier
je 92 x 165 cm
Inv.-Nr. 132–134
Bessie Nagers Œuvre zeichnet sich gerade nicht durch den Fokus auf ein einziges Medium aus. Vielmehr ist es das Spiel mit den verschiedensten Techniken und Verfahren, das ihren Werken zu immer neuen Ausdrucksmöglichkeiten verhilft. Für die hier gezeigte Serie Modèles etwa entdeckte die Künstlerin die Pionierin der fotografischen Abbildung, die Heliografie, wieder. Dabei handelt es sich – in den 1820er-Jahren entwickelt – um das erste fotografische Verfahren überhaupt. Nager nutzte die Technik, um Räume neu zu inszenieren und sie so mittels Wahrnehmungsverschiebung in ihrer sozialen Funktion zu hinterfragen.
Für die Modèles hatte Nager die Ausstellungsräume der Galerie von Bob Gysin in Dübendorf mit verschiedenen Hilfsmitteln nachgestellt und auf das lichtempfindliche Papier gebannt. Nager «zeichnete» (grie. «graphein») buchstäblich mit Licht, mit der Sonne (grie. «helios»). Die Schatten, die zu unterschiedlichen Tageszeiten auf das lichtempfindliche Papier geworfen wurden, sind noch beobachtbar. Mit unterschiedlichen Objekten konstruierte sie, einem Grundriss ähnlich, geometrische Formen, die auf räumliche Besonderheiten oder das Mobiliar der Galerie verweisen.
Wie verhält sich Kunst im Raum? Wie verändert Kunst den Raum? Und wie beeinflusst ein Raum unsere Wahrnehmung? Durch die teilweise Auflösung der formalen Strukturen entzieht Nager den Betrachter:innen sowohl die Orientierung im Raum als auch den Kontext. Was übrig bleibt, sind räumliche Strukturen mit assoziativem Innenleben. Die Realität der uns umgebenden Welt wird zur Erinnerung und zur Imagination. Die geometrischen Formen dienen als Orientierungspunkte, bleiben aber auch bewusst darauf beschränkt. Nager zeigt uns in ihren Heliografien Dekonstruktionen der Wirklichkeit. Es sind Parallelwelten, deren Realität durch ihre Fremdheit für jede:n neu zu erleben bleibt.
Bessie Nager (1962–2009) kam über das Studium der Kunstgeschichte an der Universität Zürich zur bildenden Kunst. Nach ihnen Studium besuchte sie die F+F Schule für experimentelle Gestaltung sowie die Hochschule der Künste in Zürich. Bereits während ihrer Studienphase unterrichtete sie an mehreren Kunsthochschulen. Mit Stipendien und Jurypreisen ausgezeichnet, war Bessie Nager sowohl im In- als auch im Ausland anerkannt. Viel zu früh starb die Künstlerin bei einem Unfall.
Text: Julianna Ban